Nairobi 1974: Lufthansa-Boeing "Hessen" stürzte ab (2024)

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Der neue Tag war gerade angebrochen über den gelbbraunen Feldern des kenianischen Hochlands. Es war der 20. November 1974. Flug LH 540 kam per Nachflug aus Frankfurt und setzte um kurz vor 7 Uhr Ortszeit auf der Piste des Jomo Kenyatta International Airport von Nairobi auf. "Es war eine wunderschöne Landung, so sanft, dass die Passagiere in Applaus ausbrachen", erinnert sich Earl Moorhouse. Der damals 29-jährige britische Journalist mit Wohnsitz Johannesburg war mit seiner Frau Lynn und den beiden Söhnen auf dem Weg nach Südafrika.

In Nairobi war nur ein kurzer Tankstopp geplant. Die ersten Boeings 747 verfügten noch nicht über die große Reichweite späterer Varianten. Erst im Januar 1970 hatte das größte Verkehrsflugzeug der Welt den Liniendienst aufgenommen, manche Gesellschaften wie der deutsche Ferienflieger Condor pferchten darin bis zu 490 Passagiere. Die Maschinen galten schnell als zuverlässige Riesen, rund 73 Millionen Menschen hatten sie bereits unfallfrei befördert, ein bemerkenswerter Sicherheitsrekord.

In Nairobi wurde die Besatzung ausgetauscht, die Transitpassagiere mussten wegen der kurzen Bodenzeit an Bord bleiben. Für den Weiterflug nach Johannesburg pumpte das Bodenpersonal 61 Tonnen Kerosin in die Flügeltanks.

Der Riese auf Startbahn 24

Bereits um 7.42 Uhr startete die neue co*ckpitbesatzung unter Flugkapitän Christian Krack die vier Pratt & Whitney JT9-Triebwerke, die als besonders empfindlich galten. Um eine Überhitzung zu vermeiden, war die Anlassprozedur in der kurzen Geschichte der Boeing 747 schon mehrfach geändert worden. Die Zapfluftventile waren jetzt, wie neuerdings vorgesehen, geschlossen. Eine Tatsache, die wenige Minuten später entscheidend sein sollte. Mit insgesamt 157 Menschen an Bord, darunter 18 Besatzungsmitglieder, war der Lufthansa-Jumbo "Hessen" nicht einmal halb besetzt.

Der Riese rollte zur Startbahn 24, im co*ckpit gingen die Piloten die Checklisten durch. Die Zapfluftventile hätten jetzt wieder geöffnet sein müssen, denn nur so hätte die nötige Druckluft zur Verfügung gestanden, um die Vorflügelklappen als wichtigste Auftriebshilfen für den Langsamflug auszufahren. Zwei grüne Lampen am Instrumentenbrett des Flugingenieurs hätten diesen Zustand anzeigen sollen. Allerdings stand zu diesem Zeitpunkt die Sonne tief und schien ins co*ckpit, möglich, dass die Anzeige nicht gut zu erkennen war. Die Piloten jedenfalls waren der Meinung, alles sei in Ordnung für den Start.

Um 7.52 Uhr gab der Tower die Startfreigabe. Mit 251 Kilometer pro Stunde hob die "Hessen" kurz darauf von der Piste ab. Doch Sekunden später begann der Jumbo sich zu schütteln, wollte nicht an Höhe und Geschwindigkeit gewinnen. Mehr als 35 Meter über den Boden kam er nicht hinaus. Instinktiv fuhr Pilot Christian Krack das Fahrwerk ein - in dieser Situation ein großer Fehler: Die riesigen Fahrwerksklappen öffneten sich und vergrößerten den Widerstand. Zudem traf das strauchelnde Flugzeug in dieser Höhe auf eine Inversionsschicht mit leichtem Wind, der jetzt nicht mehr von vorn kam, was wichtig für mehr Auftrieb gewesen wäre.

"Ein widerlicher Aufprall"

"Okay, Crash!", rief der das Flugzeug fliegende Co-Pilot Hans-Joachim Schacke noch stoisch, dann brach die Aufzeichnung des Stimmrekorders ab. Das Fahrwerk war noch nicht einmal ganz eingefahren, als die "Hessen" 112 Meter hinter dem Bahnende aufschlug. "35 Sekunden, nachdem die Räder den Boden verlassen hatten, berührte das Heck bei hohem Anstellwinkel einen Damm und brach in zwei Teilen hinter den Tragflächen ab", berichtet Heino Caesar, früher Lufthansa-Sicherheitskapitän und damals Chefuntersucher in Nairobi. "Die meisten der 54 Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder, die bei dem Unfall getötet wurden, saßen in diesen Sektionen", so Caesar.

Die linke Tragfläche und alle vier Triebwerke rissen ab. Das Vorderteil des Jumbos mit der rechten Tragfläche drehte sich um fast 180 Grad, bis es zum Stehen kam. "Es gab einen widerlichen Aufprall, als ein Teil der Maschine aufschlug", erinnert sich Earl Moorhouse, der 1982 ein kürzlich neu aufgelegtes Buch über seine Erlebnisse verfasste.

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"Es gab keine Schreie, nichts, als die Boeing über den Boden rutschte, es brachen Sitze los, Gepäck fiel aus den Fächern über uns, dann ging das Licht aus", so Moorhouse. "Mein Kopf prallte auf den Sitz vor mir, reihenweise wurden Sitze aus den Verankerungen gerissen und falteten sich wie ein Bündel Spielkarten nach vorn, wir waren dazwischen eingeklemmt. Ich sah einen Feuerball aus Flammen aufsteigen, wo die linke Tragfläche gewesen war", schildert der Passagier von Flug LH540 noch 40 Jahre später seine Erlebnisse.

Für die Insassen galt es, dem Inferno schnellstmöglich zu entkommen. Das war vor allem aus dem hoch gelegenen co*ckpit eine Herausforderung. "Den Piloten blieb nur die Tür zur Kabine, alle anderen Öffnungen waren blockiert, aber der Boden des Oberdecks, die Wendeltreppe und der Boden der First Class waren zusammengebrochen", schreibt Ermittler Heino Ceasar in seinen Erinnerungen.

"Rauch wie aus dem Schornstein einer Lokomotive"

"Der trotzdem abspringende Erste Offizier fiel fünf Meter tief bis in den Frachtraum durch, wo er auf dem Rücken liegen blieb. Der Kapitän sprang ihm nach, um zu helfen, und beide krochen durch Löcher im Rumpf ins Freie." Dem Co-Piloten gelang es schließlich doch noch, die Notluke im co*ckpitdach zu entriegeln und sich an einem Notseil aus neun Meter Höhe außen abzuseilen. "Als er unten war, hatte sich das Feuer so ausgebreitet, dass aus der Dachluke jetzt schwarzer Rauch quoll wie aus dem Schornstein einer Lokomotive", schreibt Caesar.

Auch Earl Moorhouse und seine Familie schlugen sich durch die von Trümmern blockierte Kabine zur einzigen intakten Notrutsche durch, wo eine Flugbegleiterin sie hinunter drückte. "Als wir den Boden erreichten, hörten wir den dumpfen Knall einer Explosion von der anderen Seite des Flugzeugs. "Ein Mann schrie: 'Rennt weg, es explodiert!'", sagt Earl Moorhouse.

Etwa zur gleichen Zeit saß der damalige Afrika-Korrespondent der "Tagesschau", Rolf Seelmann-Eggebert, nichts ahnend in einem Straßencafé in Nairobi. "Damals gab es keine Handys, erst als jemand aus der deutschen Gemeinde vorbeikam und fragte, warum ich nicht an der Unfallstelle sei, erfuhr ich, was passiert war, und raste zum Flughafen", erinnert sich Seelmann-Eggebert. Dort kam er zu spät an, die Überlebenden interviewte er dann im Krankenhaus. Es dauerte mehr als einen Tag, die Filmrollen nach Kairo zu fliegen und von dort nach Deutschland zu überspielen. Die Bilder schockierten die Heimat mit Verspätung. "Reporter des Satans" nannte "Die Zeit" daraufhin den ARD-Korrespondenten.

"Ich versuche, jeden Tag zu genießen"

Insgesamt 98 Menschen hatten den Crash von Nairobi überlebt, den ersten Absturz der damals unfassbar großen Boeing 747. Nur 43 von ihnen blieben völlig unverletzt. Die Lufthansa versorgte sie und entschädigte auch die Hinterbliebenen, "um weitere unerwünschte Publizität zu verhindern", weiß Heino Caesar. Weder die Lufthansa noch Boeing erlitten damals einen bleibenden Imageschaden.

Unfallursache waren die nicht ausgefahrenen Vorflügelklappen und damit fehlender Auftrieb, begünstigt durch die komplexe Bedienung, die daraufhin geänderte wurde. Vermutlich war es ein Fehler des Flugingenieurs, der dennoch vor Gericht freigesprochen wurde. Besonders tragisch findet Heino Caesar, dass Flug LH540 theoretisch heil hätte davonkommen können, "wenn sofort bei gleichzeitigem Senken der Nase alle vier Gashebel bis zum Anschlag nach vorn geschoben und das Fahrwerk nicht angerührt worden wäre".

Und Earl Moorhouse? "Ich war glücklich, dass ich da rausgekommen bin", sagt der Überlebende, "ich hatte danach eine ziemlich positive Lebenseinstellung und versuche jeden Tag zu genießen."

Zum Weiterlesen:

Earl Moorehouse, "Wake up it's a Crash", Bilbury Lane 2013.

Heino Caesar, "Commander (Buch III)", BoD 2014.

Nairobi 1974: Lufthansa-Boeing "Hessen" stürzte ab (2024)

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